Mittwoch, 25. Mai 2022

Album der Woche#537: Gogol Bordello - Gypsy Punks: Underdog World Strike (2005) (Re-Visited)

Okay, das hier ist wahrlich eine Premiere. Ich habe vor ca. einen Monat die Themen für Mai geplant. Und habe mich auch fest entschlossen, dieses 20-Wochen-Ding mit den 20 Alben durchzuziehen. Habe für die letzte Mai Woche Gogol Bordello ausgewählt. Am Abend vor dem Tag an dem ich das Review endlich schreiben wollte, habe ich aus irgendeinem Grund nachgeguckt ob ich das Album nicht schon mal reviewt hab. Und ich habe es tatsächlich getan. Vor rund 10 Jahren, am 20. Dezember 2012. Erst habe ich mir überlegt, ob ich nicht doch noch irgendwas anderes aussuchen sollte. Aber dann dachte ich mir: Scheiß drauf. Das alte Review kommt nicht an meine heutigen Maßstäbe heran. Also versuch ich's besser zu machen.


Wir befinden uns im Jahr 2005. Ich lese die VISIONS und finde ein Review über dieses Album vor. Irgendwann später in einem Laden auf einem St. Petersburger Markt finde ich auch diese CD und greife instinktiv zu. Ich weiß bis zu dem Zeitpunkt als ich sie gekauft habe nicht wie sie sich anhört und als ich sie das erste Mal anhöre bin ich wie weggeblasen. Was zu hören ist, ist eine unfassbar explosive Mischung aus Schrammel-Punkrock, Geigen, Akkordeon und Gesang der zwischen Englisch mit starken osteuropäischen Akzent, Russisch, Ukrainisch und Elementen aus Romanes wechselt. Im ersten Song "Sally" erzählt Sänger Eugene Hütz (der in Wirklichkeit Jewgenij Gutz heißt) etwas über ein 15-jähriges Mädchen aus Nebraska, die auf eine Wandergruppe von Sinti traf. Und ab dem Moment begann die kulturelle Revolution. Auf Russisch singt er dann: "They always were afraid that I was schizophrenic, they always were afraid that I betrayed my motherland, but in reality I was just a small bear, I jumped on a bike and fucked everything up" Der Text in kursiv wird auf Russisch gesungen. Meines Erachtens ist es eine Metapher auf die Leute, die Hütz so etwas wie Vaterlandsverrat vorgeworfen haben, weil er in die USA abgehauen ist oder mit seiner Band so groß geworden ist. In Wirklichkeit ist er jedoch nur ein kleiner Bär, ein kleiner Fisch, der seinen Spaß auf dieser Welt hat. "I never wanna be young again" handelt vom Struggle eines jungen Imigranten durch die bürokratische und komplizierte Welt des Westens: "Where after getting checked for fleas and barricades of embassies I was sculpted to be overworked and silent" In "Not A Crime", einen sehr minimalistischen Song, geht es darüber dass es früher kein Verbrechen war, nicht arbeiten zu gehen und das als Verbrechen zu betrachten absoluter Nonsens ist. "Immigrant Punk", eines der besten Songs des Albums handelt vom Zusammenschluß von Punk-Rock-Immigranten, die stets für einander da sind und gemeinsame Sache machen. Die Lead-Single "Start Wearing Purple" handelt von Hützs Ex-Freundin, die seiner Meinung nach öfter mal Unsinn gelabert hat. Er verglich sie mit der exzentrischen Nachbarin, die immer nur lila getragen hat.

Ich sehe das Album heutzutage anders als damals. Vor ca. zehn Jahren war es in erster Linie sowas wie ein Party-Album, von witzigen Ostblock-Punks aus New York. Tatsächlich ist die Band sehr international. Nur der Sound ist von Balkan-Klängen geprägt. Die Texte sind tatsächlich gar nicht mal unpolitisch. Festzustellen, dass man in seiner Heimat zwar als nicht-weiß (Hützs Mutter ist Romani, sein Vater Ukrainer) aber im Einwanderungsland doch als weiß betrachtet wird muss sehr verstörend sein. Auch die Schwierigkeit ein Visum zu kriegen und irgendwo illegal leben zu müssen, wird hier behandelt. Darüber hinaus: Ja, dieses Gemisch aus Akkordeon, Geige und typischen Punk-Rock-Instrumenten und mindestens vier verschiedenen Sprachen (in "Santa Marinella" kommt noch Italienisch dazu) macht die Songs sehr tanzbar und fröhlich. 

Meines Erachtens ein Meilenstein von einem Album. Empfehle es jedem, der von Folk-Punk a lá "Days N Daze" müde ist und kein Bock hat auf Hippies die auf Waschbrettern spielen. Das hier ist richtiger Folk Punk. Huehuehue.

9/10 Pfandflaschen
Anspieltipps: Santa Marinella, Sally, I Never Wanna Be Young Again, Start Wearing Purple, Immigrant Punk



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