Donnerstag, 29. Juni 2023

So isses, Musik!#168

Slime Discography: Sich fügen heißt lügen (2012)

Das sechste Album von Slime. Das erste nach der zweiten Reunion und das erste ohne Stephan Mahler, der die meisten Texte zusammengeschustert hat. Die Besetzung ist natürlich nicht mehr dieselbe aber im Vergleich zu früher doch ein wenig sehr anders. Anstelle Mahler am Schlagzeug sitzt ein gewisser Alex Schwers, der u.a. das Ruhrpott Rodeo (mit)veranstaltet (?), Nici von Die Mimmi's (warum dieser Deppenapostroph sein muss) spielt nun Bass. Somit bleiben Dicken am Gesang, Christian Mevs und Elf an den Gitarren. Also irgendwie 3/5 der "original"-Besetzung, was ja noch klar geht. Anstelle von eigenen Texten vertont man die Gedichte des vom NS-Regime umgebrachten Lyrikers und Anarchisten Erich Mühsam.


Zunächst denkt man sich: "Hmm, kann es sein dass sie nur deshalb auf Mühsam zurückgreifen, weil der beste Songschreiber der Band nun keinen Bock auf die Band mehr hatte?". Und dann antwortet man sich: "Ja, das ist wahrscheinlich so. Kann es denn gut werden?" Ich sage: "Ganz eindeutig, ja." Der Lyrik Mühsams hört man eindeutig an, dass sie vor knapp 100 Jahren geschrieben wurde. Der Wortschatz ist einfach anders und so würde heutzutage keiner mehr sprechen. Trotz alledem sind die Texte durchaus zeitgemäß und passen auf eine Band wie Slime wie äh Faust aufs Auge. Wenn wir uns jetzt einen Titelsong wie "Sich fügen heißt lügen" angucken, dann kommen wir zur Erkenntnis dass dieser eine Art nonkonforme Kampfansage ist gegen Staat, Repression und ja vielleicht sogar Jobcenter. Mühsam verarbeitete höchstwahrscheinlich auch den Weltschmerz während des 1. Weltkriegs in "Bauchweh", machte sich über Spießbürger lustig in "Bürgers Alptraum" und kritisierte das deutsche Kriegsgeheul in "Bett aus Lehm und Jauche". Im letzteren geht es um deutsche Soldaten die mörderisch durch Europa ziehen und zuhause als Helden gefeiert werden. "Revoluzzer" macht sich über Sozialdemokraten in der SPD lustig. Zwar nicht so wie sich Slime über "Linke Spießer" beschwert haben, stattdessen etwas witziger, aber passt auf jeden Fall auch zur Band. Die ganzen Gedichte passen zu Slime zu 100%. Sie wirken keinesfalls irgendwie holprig, als wären sie damals schon für irgendeine Punkband geschrieben worden. Es ist faszinierend wie solch alte Texte noch so modern erscheinen können. Musikalisch ist das durchaus geradliniger Punkrock, der jedoch nicht mehr diese "Härte" von früher aufweist und sich etwas in Richtung "Alternative" bewegt. Ist ja auch fast schon naheliegend, dass Slime nicht mehr dieselbe Musik machen wie 1994.

Ich bin der Meinung, dass das hier noch eine ehrliche Reunion ist. Es wirkt nicht so, als würde man das des Geldes wegen machen, sondern weil man gemeinsam Musik machen will. Sonst hätte man einfach alte Songs von sich neu einspielen können oder eine Best-Of rausbringen. Oder oder oder. "Sich fügen heißt lügen" ist ein wunderbares, zeitgemäßes Album einer alternden Punk-Band, die es hier noch sehr gut drauf hat.

8,5/10 Pfandflaschen
Anspieltipps: Sich fügen heißt lügen, Rebeller, Revoluzzer, Seenot, Freiheit in Ketten

Und weil drei Meinungen besser sind als eine...hier kommt

Philipp:

"Ich gebe es zu. Ich habe mich nicht an Slime nach der Reunion herangetraut. Ich habe mich in der Zeit nach Schweineherbst weder mit der Band beschäftigt noch wollte ich etwas von ihr hören. Ich bin einfach zu großer Stephan Mahler-Fan gewesen, liebte seine Stimme, seine Texte, sein Schlagzeug, zu groß war die Enttäuschung über die wirklich furchtbare Band Rubberslime, ich war mir zu 100% sicher, dass das mit mir uns Slime nichts mehr wird. Interessanterweise habe ich Slime 2011 in Jena mal live gesehen, da bin ich aber nur hingegangen, weil Jello Biafra And The Guantanamo School of Medicine die Vorband (!) waren, viel von Slime ist nicht hängen geblieben, außer dass Dicken neben mir am Urinal stand. Umso spannender fand ich es, mich durch unser Projekt erneut mit der Slime-Diskografie zu beschäftigen.

Und was soll ich sagen, die Band hat sich allein mit dem Konzept des Albums einen riesigen Gefallen getan, die Texte stammen allesamt von dem Lyriker, Anarchisten und politischen Aktivisten Erich Mühsam, der bereits 1934 von den Nazis im KZ Oranienburg ermordet wurde.

dieses Bandfoto macht mich fertig

Die Texte sind von daher absolut großartig, es ist wirklich überraschend, wie zeitlos die Lyrik eines Erich Mühsam wirkt, man merkt den Texten die 100 Jahre, die sie teilweise auf dem Buckel haben, überhaupt nicht an, die Musik ist wesentlich rockiger aber absolut unpeinlich, es wirkt wie eine logische Fortführung des Stiles auf Schweineherbst, nur halt eben mit 20 Jahren Luft dazwischen, was ja durchaus auch Sinn ergibt. Neuer Schlagzeuger ist ein gewisser Alex Schwers, ein Typ, den ich persönlich ziemlich unsympathisch finde, der aber in den letzten 30 Jahren das Talent hatte, bei jeder deutschen Punkband einzusteigen, deren Schlagzeuger irgendwie gerade zufällig Abführmittel im Bier hatte (Zufall?). Das Schlagzeug ist für mich auch einer der wenigen Kritikpunkte, es klingt ziemlich unausgegoren, die Beats sind alle sehr ähnlich und generisch, der Rest der Musik reißt das aber ganz gut raus. Weiterer Kritikpunkt ist ein gewisser Herr Jora, der mit seinem seltsamen Pathos und Duktus und dem Fehlen eines gewissen Tonumfanges hin und wieder für unfreiwillig komische Momente (vgl. das Intro zu Freiheit in Ketten) sorgt, ironischerweise aber auch das Zünglein an der Waage ist, das einem unmissverständlich klar macht, dass das hier definitiv noch Slime ist.

8/10 Apothekersöhnen

Anspieltipps: Sich fügen heißt lügen, Seenot, Wir geben nicht nach"


Raphael:

"Eineinhalb Jahrzehnte lang war der Name Slime nur noch eine Erinnerung an eine wilde Phase des norddeutschen Punk Rock. Es folgten Nebenprojekte wie Church of Independent Assholes, RubberSlime oder Elf. Aber so richtig zog nichts davon, während aber in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends die Deutschpunkwelle fröhlich florierte. Und dann passierte es, dass das neue Slime Line Up bekannt gegeben wurde. Christian Mevs, Michael Meyer und Dirk Jora waren wieder dabei. Außerdem stiegen Alex Schwers von Hass und Nici von den Mimmis ein. Und damals wie heute fasse ich das erste Album der neuen Slime mit einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht an. Ist das noch Slime? Oder ist es gerade gut, dass sie wieder da sind?

Das 2012 veröffentlichte „Sich fügen heißt lügen“ ist ein ganz besonderes Album. Durch den Wegfall von Stephan Mahler war der wichtigste Songwriter der Band raus. Statt sich den Kopf zu zerbrechen oder am Ende wieder Kringeleien à la „1,7‰ Blues“ zu schreiben, entschieden sich Slime, Gedichte von Erich Mühsam zu vertonen. Man kann jetzt von Konzept, Hommage, Tribut oder sonstigem sprechen; letzten Endes ist es eine große Überraschung.

Die erste Überraschung ist, dass „Sich fügen heißt lügen“ wirklich ein gutes Album ist. All die Angst vor einem Totalausfall fällt mit den ersten Klängen des Titeltracks ab. Überraschend ist auch der rockige Klang, der sich zwar nicht gänzlich vom Punk entfernt, aber eine deutliche Tendenz in Richtung Hard Rock aufweist. Und drittens überrascht der tighte Klang. In den 18 Jahren seit „Schweineherbst“ hat sich technisch einiges getan, und das hört man hier.

„Sich fügen heißt lügen“ ist ein unterschätztes Album dessen Griff zu den Sternen wohl nie gelingen wird. Nicht nur weil es die erste Platte der dritten Slime-Phase ist, steht das Album im Schatten anderer Werke. Es ist auch der sehr eigene Charakter des Erich Mühsam-Albums, das ihm einen besonderen Status gibt. Zum Vergleich: „Die Geister, die wir riefen“ (die Beilage zum Die Toten Hosen Album „Ballast der Republik“, welche ausschließlich aus Covers besteht) ist eine der besten DTH-Releases seit „Unterblich“, ist aber für immer zum Dasein als Geheimtipp verdammt. Und so ist eben auch „Sich fügen heißt lügen“ im Rahmen der Slime Diskographie eher eine Randnotiz – und zwar eine verdammt gute!

8/10 Pfandflaschen
Anspieltipps: Wir geben nicht nach, Seenot, Revoluzzer"




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Giganto-Aufgabe "digitale Musiksammlung alphabetisch durchhören"

Mittlerweile bin ich bei T gelangt und freue mich wieder abwechslungsreiche Interpreten (kurz) vorzustellen. 

T:

Den Anfang machen die großartigen Talk Talk mit "It's My Life", dass ich vor drei Jahren hier mal reviewt habe - im Rahmen eines Themenmonats in Bezug zur Videospielreihe "Grand Theft Auto". Das Titellied lief im Prequel zu "Vice City" namens "Vice City Stories". Schon interessant, da holt man sich Musik wegen eines Videospiels und hat am Ende eine sehr diverse Musiksammlung.  Daraufhin dann die Tazmanian Devils, eine Psychobilly-Band aus Deutschland, deren Inhalte ich leider direkt nach dem Anhören vergessen habe. Weil Bands dieses Genres für mich leider desöfteren zu einheitsbreiig sind. Blöd. An Teddybears STHLM kann ich mich sehr gut erinnern, weil auf MTV Russia damals das Lied "Hip Hopper" (ein Feature mit dem Rapper Thomas Rusiak) lief. Es war ein Selbstcover des Songs "Punkrocker" auf welchem Iggy Pop zu Gast war. Was wir zu hören kriegen ist eine Art Crossover zwischen Alternative Rock und Rap, die damals Anfang der 2000er sehr präsent war. Ich habe zwei Alben von Tenacious D. Einmal das "Tribute" und einmal den Soundtrack zu "The Pick Of Destiny". Ich finde das Ganze leider furchtbar unlustig und würde die .mp3s am Liebsten durch ein Fenster werfen. Viel witziger finde ich allerdings die beiden Compilations "Schöne Scheisse" und "Non-Stop Aggropop" von Terrorgruppe. In den letzten 10+ Jahren fand sich leider keine Möglichkeit für mich, die Band zu sehen. Nun haben sie sich nach dem Tode des Mitglieds Zip Schlitzer aufgelöst. Das finden sowohl mein jüngeres als auch mein älteres ich sehr sehr schade. TG waren eine Band die dem Deutschpunk-Einheitsbrei gut getrotzt hat und, würden sie noch gute Musik machen heutzutage würden sie auch heutzutage gut trotzen. Oder so.




Terrorizer hätte ich tatsächlich die letzten Jahre irgendwann mal sehen können, aber ich habs verpasst. Jedenfalls: Eine großartige Old School Grindcore Band. Habe irgendwann mal sogar ein Musikvideo mit dem Windows Movie Maker für einen Song von gemacht. Leider hat es YouTube wegen Copyright gesperrt und ich bin der einzige der das sehen kann. Texas Terri habe ich hingegen doch einmal irgedwann im Würzburger Immerhin gesehen. Kann mich allerdings nicht so genau an das Konzert erinnern, außer dass es wohl schon ziemlich cool gewesen sein muss. Die Musik taugt mir heutzuge immer noch. Feinster, provokativer Punkrock der alten Schule mit Songtiteln wie "Your Lips, My Ass".




The Teen Idles waren eine der ersten Bands von Ian Mackaye bevor es Minor Threat gegeben hat. Ich habe die Minor Disturbance EP (lol was für ein Titel). Es ist cool und simpel, allerdings insgesamt betrachtet eigentlich nichts besonders. Wohl einfach eine ordentliche HC/Punk-Band von früher. "The Thermals" ist meiner Meinung nach ein unmöglicher Bandname, vor allem wenn man so ein deutscher Deutscher ist der das "The" nicht aussprechen kann. Was die machen ist sehr guter, eindringlicher Indie Rock der weder peinlich noch cringy ist. Das Album "The Body, The Blood, The Machine" ist im Titel wohl eine Anspielung auf Jesus Christus, ob es textlich noch so ist, das weiß ich nicht mehr. Therapy?s "Troublegum" habe ich hier schon mal reviewt. Ebenso wie "Jailbreak" von Thin Lizzy. Thought Riot kenn ich von einer "Rock Against Bush"-CD. "Sketches of Undying Will" ist ein absolut herausragendes politische Punk-Werk, dass nicht bloß aus klischeehaften Parolen besteht sondern tatsächlich sowohl gesanglich als auch lyrisch was zu bieten hat. 




Ich besitze ein EP des Rappers Thrill Till. Aufgrund der unfassbar schlechten Texte, die jedes Klischee von Deutschrap anno 2009-2011 erfüllen möchte im Boden versinken. Als nächstes dann "Pilgrim" von Thron, die ich schon mal live gesehen habe und die mir nach wie vor sehr viel Freude bereiten. "Wildhoney" von Tiamat, dass ich hier besprochen habe. Zwei Alben von Tiger Army, nämlich die "The Power Of Moonlite" (sehr sehr sehr gut!) und das Debüt. Beides unfassbar schöne Alben. Wenn man sich mal überlegt, in welchen Kontexten die Band damals verkehrt hat, nämlich die unfassbar mackerige Psychobilly-Szene ist das schon ein großes Achievement. Sie stachen nämlich heraus wie eine Gurke im Salatfeld. "Emobilly" nannte man das. Vollkommen zu Unrecht.




Timelost habe ich vor Ewigkeiten durch irgendeine Empfehlung entdeckt. Ich habe allerdings schon längst vergessen was die Band für Musik gemacht hat. Hat sich herausgestellt, dass es ein ziemlich angenehmer shoegazy Sound war. Eine Kostprobe davon gibts bei Bandcamp. "The Black Six Sessions" von Bandcamp ist ein Hip-Hop-Album mit diversen Punk-Samples. Dass es so kommt, das kann man sich denken wenn man das Cover mit dem Black Flag Logo sieht. Damals hätte ich es vielleicht nicht so gut gefunden, heute finde ich das schon gut.




Too Strong sind als nächstes dran. Von der Dortmunder Rap-Formation habe ich die "Krank"-EP als auch die Alben "Die drei vonne Funkstelle", "Royal TS" und "Dreamachine". Besonders hängengeblieben sind mir die Songs "Krank", "Lyrisches Kung-Fu" als auch "Rabenschwarze Nacht" (der von einem feigen Nazi-Mord handelt) bzw. der Imperial Remix davon. TS sind sowohl wegen den Lyrics als auch wegen der Stimmen von AtomOne und Pure Doze wahrscheinlich die merkwürdigste und eine der originellsten deutschsprachigen Rap-Crews. Aus heutiger Sicht vielleicht etwas altbacken, aber zumindest ohne viel Autotune und texten über Einweg-E-Zigaretten oder Durstlöscher. Die Psychobilly-Legenden Torment bevölkern den nächsten Ordner. Dadrin: Eine Best-Of als auch die großartigen Alben "Psyclops Carnival" und "Hypnosis". "Människans Ringa Värde" ("der geringe Wert des Menschen") ist ein Album von Totalt Jävla Mörker (Total Fucking Darkness), eines Crust Punk/Metal-Projektes von ehemaligen Mitgliedern von Bands wie Warvictims, Royal Downfall, Against Me! und Dödsdömd. Sehr empfehlenswert für Fans von ähem infernalischen Krach der doch etwas Melodie mit sich bringt.




Nun sind wir bei "TOX" angelangt. Wir haben als erstes die furchtbar schlechten Psychobillies der Band "Toxaemia" aus den Niederlanden. Deren "Invasion of the Rubber Dolls" ist so schlecht, dass meine Füße nicht nur einschlafen sondern nie wieder aufwachen wollen. Es ist so furchtbar scheiße, dass ich nicht zu viel Zeit dafür verschwenden will. Neben dem Film gab es auch eine Band namens "Toxic Avenger", die aus Hannover kam. Habe sie vor Jahren auf einem Blog gefunden, der sich mit Bands aus Hannover beschäftigt hat. Sie haben "argh fuck kill" von den Dayglo Abortions gecovert, was tatsächlich jeder machen könnte, sogar ich. Es ist super lustig. Als nächstes dann "Toxic Holocaust". Ich besitze ein Album und eine EP: "Hell On Earth" und "Death Master". Die Thrash Metal Institution, die eigentlich eine Ein-Mann-Band ist, gibt es schon ziemlich lange. Ich habe Respekt vor jemanden, der das alles allein durchzieht und offensichtlich sehr viel Herz reinbringt. Das ändert aber nichts daran, dass das Endprodukt einfach unfassbar Scheiße ist. Man hört dass die Drums und die Gitarren von derselben Person aufgenommen wurden. Es wirkt auf mich so, als hätte man ein Fließbandprodukt gefertigt. Verstehe nicht, was man an dieser "Band" gut findet. Als letztes dann natürlich die selbstbetitelte von Toxoplasma, die ich hier reviewt habe.





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