Sonntag, 25. Mai 2025

So isses, Musik!#190

Bevor wir uns den Discographies widmen, möchte ich mir einen Moment Zeit nehmen für Katharsis. Als "Katharsis" bezeichnet man das "Sichbefreien von psychischen Konflikten und inneren Spannungen durch Abreagieren". Tatsächlich ist das etwas, was heutzutage vermehrt in den sozialen Medien stattfindet, als Antwort auf das Weltgeschehen. Doch gleichzeitig ist es auch der Name von mehreren Bands und Künstlern. Das ist mir letztens auch aufgefallen, als ich den "Eurovision Song Contest" gesehen habe (und dabei mindestens vier Mal für Israel gestimmt habe). Litauen wurde nämlich von einer Band vertreten die sich "Katarsis" nennt und dabei leicht shoegazig rüberkam. Ich fands ziemlich gut, was ich gehört habe. Hier könnt ihr euch den Song auf YouTube anhören.

Katharsis ist wiederum auch der Name einer Black Metal Band, die ich bis dato nur von Aufnähern und vom "Sehen" kannte. Wahrhaftig kranker Gesang, der sich wie Geschrei einer Hexe anhört. Ansonsten Qualität aus dem Mülleimer, aber das ist gut so. Geil. 

Catharsis aus North Carolina machen sowas wie Post-Hardcore, sprich Musik die Bands machen die aus dem Hardcore kommen und sich erheblich weiter entwickelt haben. Habe sie vor mehr als zehn Jahren (?) auf dem FLUFF Fest im tschechischen Rokycany gesehen und es war wirklich atemberaubend. Hier könnt ihr euch "Arsonist's Prayer" anhören. 

2012 kam der gemeinsame Track "Super Marios" von Katharsis & Gossenboss mit Zett. Ich hab's damals gefeiert, dass Gosse etwas aus seiner Gosse rauskommt und einen größeren Bekanntsheitsgrad erfährt. Irgendwie. Damals wie heute - übergut.

CRASS Discography: Yes Sir, I Will (1983)

Eigentlich ist das hier das letzte Album von CRASS. Doch zwei Jahre später kam noch eins und das obwohl die Band gemeint hat, dass sie nur bis ins Jahr 1984 existieren werden. Irgendwann wurde es auch schwierig als politische Band zu existieren und im wörtlichen Sinne eine Antwort auf die Ereignisse auf der Welt zu geben. So ist "Yes Sir, I Will" eine Antwort auf den Falkland-Krieg und die politische Stimmung in Großbritannien.


Das Album besteht aus sieben Songs, die zum ursprünglichen Zeitpunkt der Veröffentlichung alle "Yes Sir, I Will" hießen. Eigentlich ist es ein einzelner durchgängiger Song der lediglich durch zwei Seiten einer Schallplatte getrennt wird. De Facto aber sind es sieben Songs, die noch mehr in die Avantgarde eintauchen als sonst schon. Allerdings gibt es zwischen ihnen keine Übergänge. Im Grunde genommen sind es endlose Rants von Steve Ignorant. Zumindest auf Song 1 und 3. Song 2 ist eine ironisch anmutende Piano-Ballade. Song Nummer 4 ist der wohl am ehesten Punkrockige hierauf. Damit meine ich den ursprünglichen konventionellen Punkrock. Die bedrohliche, pessimistische Kulisse zieht sich auf Song 5 und 6 weiter bis zum siebten Song. Sowas wie Refrains gibt es nicht. Im Grunde genommen ist es ein gigantisches Anarcho-Kunstwerk, dass weniger dazu gedacht ist, mitgegröhlt zu werden sondern um eine zynische bzw. kritische Botschaft zu vermitteln. Auf der "Crassical Collection" wurden den einzelnen Songs auch tatsächlich neue Titel vergeben. Deswegen werden die Anspieltipps zu diesem Album auch diese beinhalten. Die Texte basieren zu einem nicht geringen Teil auf Drummer Penny Rimbauds Gedicht "Rocky Eyes".

Der Titel des Albums entstand aus einer Begegnug zwischen den Soldaten Simon Weston und Prinz Charles. Weston war im Falkland Krieg, sein Gesicht wurde heftig verbrannt. Charles wünschte ihm gute Besserung ("Get well soon") worauf Weston antwortete dass er das ja tun werde ("Yes Sir, I Will"). Als würde er einen Befehl erhalten. CRASS machen sich in dem Moment nicht über den Veteranen lustig sondern betrachten dessen Gehorsam der Krone gegenüber zynisch. Da wird jemand in einen Krieg geschickt, ist hinterher für sein Leben lang gezeichnet und am Ende zeigt er doch gehorsam. 

Meines Erachtens das am wenigsten zugängliche Album von CRASS und das herausfordernste. Trotzdem gibt es hier ein paar Songs, die man sich durchaus gönnen kann.

Anspieltipps: Anarchy's Just Another Word (2), Speed or Greed (3), The Five Knuckle Shuffle (4)
6,75/10 Pfandflaschen 




Primus Discography: Conspiranoid EP (2022)

Die neueste und bis jetzt letzte Veröffentlichung von Primus ist eine EP, die "nur" drei Songs enthält weil die Band aus Zeitgründen keinen Nerv hatte zwischen Tür und Angel irgendwas größeres aufzunehmen. Es ist die letzte Aufnahme mit Tim Alexander der zwei Jahre später zum dritten Mal ausgestiegen ist. "Conspiranoid" besteht aus den Songs "Conspiranoia", "Follow the Fool" und "Erin on the Side of Caution".

Rausgekommen im zweiten Jahr der Pandemie, beschäftigt sich die EP, wie kann es auch anders sein, mit Verschwörungstheorien und ihren Anhängern. "Conspiranoia" ist ein beinahe 12-minütiger
Riesensong der von Menschen erzählt die auf Verschwörungsthorien reingefallen sind und sich zum Beispiel Katzenpisse in die Augen schütten um gegen COVID-19 immun zu sein (weil Impfungen per se böhse sind). Die Moral von der Geschichte ist: "Du kannst ein Pferd zum Wasser bringen, aber ihm nicht beibringen zu trinken". So kann man auch Fakten zu den Menschen bringen, aber sie nicht dazu bringen daran zu glauben. "Follow the fool" stellt die Frage: Ist derjenige ein Idiot der die ganzen Verschwörungern erzählt oder sind die Leute Idioten, die ihm folgen und alles nachplappern was er sagt? Ich weiß nicht genau, worum es in "Erin on the side of the caution" geht. Es scheint mir aber, dass das Thema Menschen sind, die die gesamte Pandemie für ein gut durchplantes Konstrukt gehalten haben und sich auf diese Art und Weise auf der "richtigen" Seite der Dinge gewähnt haben.

Einzig "Erin..." klingt ein wenig nach alten Primus. "Follow the Fool" allerdings auch so n Bisschen. Der Titeltrack (wenn man ihn so nennen kann) ist jedoch eine vollkommen andere Nummer. Mit 11 Minuten und 39 Sekunden der wohl längste Song von Primus und meiner Meinung nach eine gelungene Verneigung von Progressive und Art Rock Größen wie Pink Floyd, allerdings gleichzeitig auch vor John Carpenter. Meiner Meinung nach. Ich finde nämlich, dass der Song sich anhört wie John Carpenters Musik zu seinem Film "They Live". Also die ruhigeren Passagen. Natürlich gibt es hier auch Old School Primus Versatzstücke, größtenteils verzichtet der Song aber darauf. Wie gesagt: "Money" von Pink Floyd trifft auf die Hintergrundmusik von "They Live" (in welcher es um äh naja Verschwörungstheorien ging die wahr geworden sind. Ich sag nix).

Die EP hatte es zu Beginn etwas schwer bei mir. Es wollte einfach nicht richtig zünden. Doch nach 2-3 Mal durchhören sitzt das Ding endlich. Primus können jetzt auf jeden Fall Progressive Rock. Bzw. konnten es vorher auch schon (siehe "Desaturating Seven") aber hier zündet es richtig ordentlich gut. Auf jeden fall.

9/10 Pfandflaschen
Anspieltipps: Alle lol

Und weil drei Meinungen besser sind als eine, hier kommt...

Philipp:

"Vorerst letztes Primus-Review unserer kleinen Reihe, nun die zwanzigminütige 3-Song-EP "Conspiranoid" aus dem Jahr 2022, welches sich - passend zur damaligen dritten Welle der Corona-Pandemie unter anderem mit Verschwörungstheorien beschäftigt. 
Vorerst letztes Lebenszeichen der Band in der "klassischen" Besetzung, Herb hat Anfang dieses Jahres leider die Band verlassen. 
Musikalisch bleibt man der progressiven Ausrichtung des letzten Albums treu, man hört an einigen Stellen Rush und King Crimson raus, ein Riff erinnert mich verdächtig an Mr Bungle, aber das kann durchaus Zufall sein. 
Alles in allem eine recht gute EP, die durchaus ihre Berechtigung in der Primus-Diskografie hat. Es bleibt abzuwarten, wie es für die Band weitergeht. 

Die letzte Single "Little Lord Fentanyl" mit MJ Keenan war jedenfalls eher so mittelmäßig.

7/10 Pfandflaschen"

Raphael:

"Hier sind wir im bisher letzten Kapitel von Primus. Ihre Tour, auf der sie das gesamte Rush Album „A Farewell to Kings“ spielten, musste zweimal verschoben werden; einmal wegen Slayer und einmal wegen COVID-19. Und letzteres ist eigentlich die ideale Überleitung, denn auf der EP von 2022 geht es um Verschwörungstheorien, Paranoia, und sowohl die Unsinnigkeit all dessen sowie auch die davon ausgehenden Gefahren. Nach zwei Alben mit rein fiktiver Thematik ist das ein ganz schön schneller Sprung ins kalte Wasser der Realität.
Primus im Jahre 2025

Im Jahr 2022 haben auch Slime mit ihrem neuen Sänger Tex Brasket ihr Album „Zwei“ veröffentlicht; unsere Gedanken dazu findet ihr hier. Außerdem war 2022 das Jahr, in welchem die kurdische Frau Jina Mahsa Amini im Iran durch Polizisten ermordet wurde, was zu nationalen und internationalen Protesten führte. Der seit 2014 schwelende Krieg zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation wurde zum Flächenbrand, als Vladimir Putin die Invasion der Ukraine befahl. Im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan kam es zu einem verheerenden Erdbeben mit Todesopfern in vierstelliger Größenordnung. Bessere Nachrichten aus demselben Jahr waren die Ernennung des Fliegenpilzes zum Pilz des Jahres, die Entwicklung eines sehr wirksamen Impfstoffes gegen Malaria, und der Tod von Joseph Alois Ratzinger.

Ja, global gesehen war es irgendwie kein so geiles Jahr. Und irgendwie scheint sich hier meine These zu bestätigen, dass schwierige Zeiten gute Kunst hervorbringen. Ein gutes Beispiel hierfür ist „Conspiranoid“ von Primus aus dem Jahre 2022. Die EP beinhaltet drei Tracks, von denen der erste Titel „Conspiranoia“ mit elfeinhalb Minuten das bis dato längste Stück der Band ist. Inhaltlich geht es also um Verschwörungstheorien und Paranoia, um Chemtrails, um Autismus oder Tod verursacht durch COVID Impfungen, um die QAnon Bewegung, Präsident Donald John Trump, Laser, die flache Erde, und die Tatsache, dass am Ende des Tages eigentlich meistens sowieso Die Juden™ für alles Schlechte verantwortlich sind. „Conspiranoid“ war anno 2022 genau die EP, die wir gebraucht haben. Daran, dass Zyniker wie Claypool, LaLonde und Alexander plötzlich die Hüllen aus Fiktion und Satire fallen lassen, merken wir: das hier ist verdammt nochmal ernst! Primus betrachten mit Sorge die zunehmende Zerrissenheit der Menschheit und gehen auf ihre Art und Weise darauf ein. Ganz ohne Sarkasmus schaffen sie das natürlich nicht, aber so direkt wie auf „Conspiranoid“ haben sie sich zuvor nicht geäußert. Und dazu passt auch die störrische musikalische Umsetzung. Auf ihrem Weg zum Prog haben Primus hier nochmal einen Gang rausgenommen und eine kleine Detour durch schmutzige Pfützen des Alternative Funk Metal gewagt: also eine Kombination aus dem Besten beider Welten.
9/10 Pfandflaschen

Anspieltipp: Von vorne bis hinten durchhören"



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