Insgesamt, ein sehr kurzweiliges Erlebnis, aber ein positives und spannendes. Mir gefällt es.
Es ist einfach ein verfickt großartiges und dichtes Album und für mich sind Tool mit diesem Album definitiv zu dem geworden, was ich mit Tool verbinde. Undertow in allen Ehren, es ist wirklich ein tolles Album, aber es fehlt einfach immer noch dieses psychedelische, verspielte, die ewig langen, vor sich hin wabernden, ätherischen Songs. Und Aenima hat wirklich alles. Verdammte Axt, Aenima hat sogar Humor, der diese unfassbar düsteren Brocken von Songs immer wieder auflockert, diese Zwischenspiele, die den Hörer aus der Katharsis reißen und erst mal ratlos zurück lassen. Was soll eigentlich „Useful Idiot“? Ah okay, das Ende einer Platte, klingt ein bisschen so als wäre diese hängengeblieben, quasi ein kleines mittelfingeriges Augenzwinkern an die vinylophilen Nerds. Message To Harry Manback eine wütende Anrufbeantworternachricht des ehemaligen Mitbewohners eines Freundes, der ständig den Kühlschrank leergefressen hat, Intermission eine alberne Orgelinterpretation des darauffolgenden Riffs, „Die Eier von Satan“ ein Rezept für Haschkekse, auf deutsch vorgetragen, im Hintergrund eine an Früh-Industrial erinnernde Klangcollage.
Diese kleinen Absurditäten kommen dem ein oder anderen wie Füllmaterial vor, für mich persönlich macht es das ganze nur besser, da es einem zwischen den Songs etwas Raum zum atmen gibt und diesen tatsächlich nur mehr Kraft verleiht. Und diese Songs. Allein der Opener „Stinkfist“ (welches schon aufgrund des Titels von MTV und Konsorten zensiert wurde, oftmals einfach Song #1 genannt), ein Lied über die zunehmende Abstumpfung der Gesellschaft, man braucht immer stärkere und krassere Reize, um irgendwie befriedigt zu werden, illustriert durch eine sich von Refrain zu Refrain bis ins absurde steigernde (beginnend mit „finger deep“ über „knuckle deep“ bis hin zu „elbow deep“ und „shoulder deep“) Analfisting-Metapher. Eulogy mutet zuerst wie ein Nachruf an einen verstorbenen Freund an, ich dachte anfänglich, es handelt sich um einen Song für Bill Hicks, den 1994 verstorbenen, gut mit der Band befreundeten Komiker, dem das ganze Album gewidmet ist, der den Text von „Aenema“ inspiriert hat und in „Third Eye“gesampled wird. Beschäftigt man sich mehr mit dem Text, fällt einem aber auf, dass es ein sehr sarkastischer Song über jemanden ist, der sich selbst über andere Menschen stellt und sich selbst als Märtyrer begreift.
H handelt laut Aussage von MJK von dem Engelchen und Teufelchen, das man in Warner Brothers-Cartoons auf der Schulter sitzen hat und der Tatsache, dass man die Entscheidungen bei allen Einflüssen von aussen, bei allem Determinismus, aber immer noch selbst trifft und treffen muss.
Forty Six & Two handelt von Evolution (Der Titel bezieht sich auf die Theorie, dass sich die Menschheit weiterentwickelt und zwei zusätzliche Chromosomen bekommt, also 46 + 2) und der Philosophie Carl Gustav Jungs, Hooker With A Penis von nervigen Fans, Jimmy von Maynards nicht ganz einfacher Biografie, Pushit von einer schwierigen Beziehung. Der (fast) Titeltrack Aenema basiert auf Travis Bickles Monolog aus Taxi Driver und einem Ausschnitt aus Bill Hicks‘ Programm und kommt mir ein bisschen vor wie ein „Evil Red Hot Chili Peppers“-Meme, es wird sich ordentlich über die Oberflächlichkeit von Los Angeles ausgekotzt und Kalifornien eine feucht-fröhliche Naturkatastrophe an den Hals gewünscht (deshalb auch der Titel, man vergleicht die beschworene Flutkatastrophe mit einem medizinisch notwendigen Einlauf) und in Third Eye geht es wiederum um Bewusstseinserweiterung und Weiterentwicklung.
Es ist einfach alles so unfassbar dicht und komplex, jeder Song hat mehrere musikalische Ebenen und Bedeutungen, dazu dieses unfassbare Songwriting, es stimmt einfach alles.
Der zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Albums neue Bassist Justin Chancellor hat der Band definitiv gut getan, ein paar Songs (unter anderem das grandiose Stinkfist) wurden noch mit Paul D‘Amour geschrieben, was aber qualitativ absolut keinen Unterschied macht. Ungeachtet dessen ist es eine deutliche Steigerung zu Undertow, das Album ist um einiges psychedelischer und atmosphärischer, Chancellor sprach mal in einem Interview davon, dass es auf dem Album (daher auch der Titel) zwei Ebenen gibt, in Anima geht es um das unerwünschte und verdrängte im menschlichen Unterbewusstsein Anima ist laut Carl-Gustav Jung die weibliche Seite der männlichen Psyche, die sich vor allem unterbewusst äussert, in Enema geht es um Evolution und Veränderung.
Dass ich dem Album nicht die Höchstwertung gebe, liegt in erster Linie daran, dass ich die Alben dieser Diskographie doch gerne ein wenig abstufen möchte, der Gipfel der Genialität der Band ist nämlich mit diesem Album definitiv noch nicht erreicht. Dazu später aber mehr.
Alles in allem ein verdammtes Meisterwerk. Ich bin in den letzten Wochen von jemandem, der doch eher abschätzig auf Tool geschaut hat, zu einem wirklichen Fan geworden, mit jedem Album dieser Band kann man Stunden verbringen und man findet immer wieder etwas neues.
9/10 Pfandflaschen
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