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Donnerstag, 19. Februar 2015

Geschichten, die keiner mag#44: Bollerwagen

Eigentlich ist es nicht wirklich meine Stärke, hier über persönliche Dinge zu schreiben. Allerdings gibt es gewisse Themen, die nur so aus einem raussprudeln wollen, weil man sie nicht zurückhalten kann. Ich habe euch irgendwann mal in "Me and my old man" über meinem Opa erzählt.

Leider kam ich nicht dazu etwas über meine Oma zu sagen. Sie war nämlich meine wirkliche Oma. Im Gegensatz zu meinem Opa, der rein technisch gesehen "nur" mein Stiefopa war. Er war der zweite Ehemann meiner Großmutter und somit mit mir auch nicht verwandt. Aber das ist ja im Grunde egal. Soweit ich mich erinnern kann waren sie seit ungefähr 1985 verheiratet. Oder etwas früher. Meine Oma war eine sehr entschlossene, sehr beständige Frau die sich niemals etwas bieten lassen wollte. Sie zeichnete sich durch einen ausgelassenen Mutterinstinkt aus. Sie war bereit alles erdenklich mögliche für mich und meine Mutter und natürlich meinen Opa zu tun. Jederzeit, egal was. Hauptsache es geht uns allen gut.

Sie war ein Bisschen das allbekannte Oma-Klischee a lá "Omg, du hast heute noch nichts gegessen? DU WIRST VERHUNGERN!!!1" Deswegen gab es jedes Mal wenn ich in Russland zu besuch war ordentlichst zu essen. Als ich mit 12-13 angefangen habe, mit Vegetariertum anzubandeln (damals noch nur für ne kurze Zeit) hat es ihr nichts ausgemacht. Statt Riesenwürste gabs halt damals Tonnen an Gemüse zu Kartoffelpürree. Als ich dann ernsthaft Vegetarier wurde, war das zwar erst recht seltsam (ja ich habe bei ihr die Fleischstückchen die in der Suppe schwammen einfach ausgelassen), aber sie gab sich damit irgendwie auch zufrieden. Es war auch kein Thema, Fleischersatz zu kochen. Im nachhinein betrachtet war es wohl das mieseste Sojageschnetzeltes überhaupt - nämlich überhaupt nicht gewürzt und geschmacklos. Aber ich habs vertilgt.

Dieser Mensch hat alles für mich gemacht. Ich war ihr lieblingsenkel. Kein wunder, war ja schließlich der einzige. Sie hatte eine Vorliebe für Haustiere (jaja ich weiß, Karnismus). In ihrem Haushalt hatte einiges an Vierbeinern ein schönes Leben gehabt. Oder an Zweibeinern. Angefangen mit Roma, den Papagei, Kusja den Streunerkater, den Perser Max der sowohl die Pudeldame Peggy, meine Hündin Meri als auch die Katze Bara überlebt hat bis er vor ein paar Jahren selbst eingeschläfert werden musste.

Sie liebte uns alle. Wirklich. Leider hatte ich immer wieder den Eindruck als ob mein Opa für sie zum Sündenbock für alles geworden ist. Als ich klein war, war ich zwar jedesmal erschrocken wenn sie sich gestritten haben. Doch ich hab es entweder verdrängt oder einfach vergessen, weil ich es im nachhinein als nicht besonders schlimm empfunden hab. Als ich älter wurde, wurde es immer schlimmer. Man merkt, denke ich mit zunehmenden Alter wie schlimm die Dinge um einen herum sind. Ich habe gemerkt, dass kaum ein Tag im Leben meiner Großeltern vergangen ist an den sie sich nicht gestritten oder über irgendwas laut diskutiert haben. Meine Oma wurde jedes Mal entweder sauer weil ihr irgendwas nicht gepasst hat, was mein Opa verbockt haben soll - oder weil ihr seine Meinung nicht gepasst hat - oder weil sie scheinbar keine guten Argumente mehr hatte............oder weil mein Opa ein energetischer Vampir ist, der sich vorgenommen hat ihre ganze Energie durch sinnlose Gespräche, Diskussionen und Streits aussaugen will. Dass sie vielleicht irgendwo auch selber daran schuld sein könnte, hat sie nie in Erwägung gezogen. Niemals.

Aber jetzt mal kurz zu etwas anderem:
Als ich ein Jahr lang in Russland gewohnt habe, habe ich mich irgendwann tierisch gelangweilt und angefangen irgendwelchen sinnlosen Scheiß zu bauen. Könnte man auch als Schabernack bezeichnen. Ich habe 1. einmal bis um drei Uhr nachts die MTV Europe Music Awards geguckt. Meine Oma erwischte mich dabei, war richtig enttäuscht weil ich so spät aufgeblieben bin und fragte am nächsten Tag ob ich sie noch lieb hab. 2. ich habe weil ich langeweile hatte in der Wohnung rumgezündelt. Ich verbrannte Papier als auch wattebäuschchen, getaucht in Spiritus. Als meine Oma danach im Müll zufällig die verkokelten Schnipsel gefunden hat wurde sie richtig sauer. 3. Ich habe mit einer Spritze rumgespielt (ohne Nadel) und dabei Wasser an die Decke gespritzt. Das war total gesundes, Ökowasser mit lauter Mineralien dass sie für mich besorgt hat, damit ich gesünder werde. Sie war nämlich in dieser Hinsicht auch sehr besorgt. Es entstanden ein paar Wasserflecken. Sie war nicht gerade begeistert. 4. Es war Winter. Max hat gekackt. Es war außer mir niemand daheim, ergo habe ich beschlossen den Katern den Arsch sauber zu machen und zu waschen. Im Winter. Kater not amused. Oma not amused. Oma ist danach der Meinung, ich würde sie alle hassen. Es gab davor auch schon irgendeinen Vorfall bei welchen sie mir schon Flugtickets nach Hause kaufen wollte. Angeblich. Aber das war die Höhe. Am Ende meines Aufenthalts war sie so froh, dass ich nach Hause fahre. Das allererste Mal.

Mein allerletzter Aufenthalt verlief mehr als miserabel. Ich war damals 17 Jahre alt und hab langsam realisiert, dass meine Oma ein übles Problem hat. Es war einfach unmöglich mit ihr auszuhalten. Zum Ende hin knallte es ordentlich und es sah für mich so aus als würden sich meine geliebten Großeltern bald trennen. Ich hätte an der Stelle meines Großvaters nicht mehr mit dieser Frau ausgehalten. Meiner Meinung nach hatte sie einfach verschiedene Ängste gehabt. Sowohl ich als auch meine Mum sind endgültig von Polen nach Deutschland gezogen. Deswegen waren wir noch weiter entfernt. Ja klar, es sind flugstundentechnisch nicht viel mehr Stunden als von PL nach RU. Allerdings war es für sie wahrscheinlich schon eine andere Welt. Wir waren weg. Weit weggedriftet. Zudem waren alle ihre Verwandten tot. Alle. Wirklich alle.

Als ich sie das erste Mal gesehen hab - war sie eine kleine, äußerst aktive Frau (mit Rückenschmerzen und Kettenrauchertum) und kurzen blonden Haaren. Bei meinem letzten Besuch war sie auf einmal schon ergraut und genau da merkte ich dass sie leider vergänglich ist. Leider war ich von ihrem Verhalten so dermaßen schockiert, genervt und übelst entsetzt dass ich langsam aber sicher immer weniger Bock hatte, Kontakt mit ihr zu halten. So hielt ich kaum Kontakt, meine Em auch nicht.

Knapp ein Jahr später erhielt ich beim rumhängen in der Stadt ein Anruf von meiner Mum. Sie erzählte mir, dass Oma gestorben ist. Sie war zu irgendeiner Routineuntersuchung, bei welcher sie Blut abgeben musste (?) gegangen. Mein Opa wurde auf der Arbeit angerufen, dass er sie bald abholen kann, es wäre alles gut gelaufen. Eine Stunde später wurde er noch mal angerufen. Sie war tot. Ich weiß bis heute nicht, was genau passiert ist. Vielleicht wurde es mir schon erzählt und ich habe es verdrängt. Leider kann ich nicht verdrängen, dass ich es nicht geschafft hab zu erleben wie meine Großeltern sich versöhnt haben. Sie blieben nämlich trotz allem weiterhin zusammen. Was mindestens genauso traurig ist, dass ich und meine Mum es nicht hinbekommen haben uns ihr wieder anzunähern. That sucks. Really.

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